Unsichtbare Freunde, wie Rubys Elefanten, sind der Psychologie heute gut bekannt. Etwa 65% der Kinder entwickeln bis zum Alter von 7 Jahren Interaktionen mit unsichtbaren Freunden. [1] Früher hatten Wissenschaftler eine negative Sicht auf imaginäre Freunde. Doch als das Thema intensiver erforscht wurde, fand man heraus, dass Kinder sogar sehr von der Nutzung unsichtbarer Freunde profitieren.[2] Heute werden imaginäre Freunde als normaler Bestandteil der kindlichen Entwicklung angesehen. Einige Wissenschaftler versuchen seit Jahren Vorurteile gegenüber dem Spielen mit imaginären Freunden abzubauen. Sie stellten fest, dass alle bislang in Studien untersuchten Kinder mit unsichtbaren Freunden normale Kinder und Jugendlicher waren, die sogar gleichaltrigen Kindern ohne unsichtbaren Begleiter in vielen Bereichen messbar überlegen waren.[3]

Kinder mit unsichtbarem Freund verfügen im Vergleich zu Kindern ohne unsichtbaren Freund nachweisbar…

  • über eine höhere Kreativität

  • bessere Sprachfertigkeiten

  • bessere soziale Fähigkeiten

  • bessere Kooperation mit anderen Kindern

  • einen positiverer affektiven Ausdruck (also bessere Stimmung, Emotion, Motivation)

  • bessere Empathie und Rollenübernahmefähigkeiten [4] [5]

  • geringere Schüchternheit[6]

Auch die Entwicklungspsychologie sieht die unsichtbaren Freunde positiv, z.B. als Hilfs-Ichs an.[7]

Es ist sehr nützlich und auch beruhigend, sich die positiven Potentiale dieser unsichtbaren Freunde klar zu machen. Denn die unsichtbaren Freunde ermöglichen Lernprozesse und geistige Experimente, die mit normalen Freunden gar nicht möglich sind.[8] Im Unterschied zu realen Freunden können Rubys unsichtbare Elefanten genau auf die individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Und schließlich macht es natürlich Spaß, von unsichtbaren Elefanten begleitet zu werden und sich selbst und die Welt aus anderen Perspektiven zu entdecken. Das ganze bedeutet natürlich nicht, dass unsichtbare Freunde, reale Freunde ersetzen sollen.

Sogar Kinder und natürlich auch Erwachsene, die bisher keine Begegnung mit unsichtbaren Elefanten hatten, können lernen das Konzept der unsichtbaren Freunde anzuwenden und zu entwickeln.[9]

Wie kann ich Rubys Elefanten nutzen, um Kinder stark zu machen und ihre Fähigkeiten zu trainieren?

Übung sozialer Interaktionen:

Kinder führen mit ihren unsichtbaren Elefanten, den Ewaijas, Gespräche, spielen Rollenspiele und üben so, wie man sich in sozialen Situationen verhält.

  • Erkläre dem Ewaija, worauf man beim Fahrradfahren achten muss, damit nichts passiert.

  • Der Ewaija versteht nicht, warum er heute nicht noch mehr Süßigkeiten essen darf. Kannst du es ihm so erklären, dass es keinen Ärger gibt?

  • Zwei Ewaijas möchten mitspielen. Aber einer der beiden will nicht, dass der andere mitspielt. Was können wir tun?

  • Der Ewaija möchte immer als erstes durch die Tür. Wenn er das nicht schafft, ärgert er sich. Sprich mit ihm über diese Situation und erkläre ihm alles, was du wichtig findest, damit es in Zukunft keinen Ärger gibt.

Verarbeitung von Gefühlen:

Kinder können ihre Gefühle mit ihrem Ewaija teilen. Dabei üben sie, sich mit eigenen und fremden Gefühlen auseinanderzusetzen, Emotionen besser zu verstehen und zu regulieren. Wenn das Kind mit dem Ewaija über seine Gefühle spricht, findet dabei bereits durch das Formulieren ein Teil der Verarbeitung statt. Bei vielen Gefühlen fällt es Kindern sogar leichter diese über ihren imaginären Freund ausdrücken als sie direkt gegenüber dem Erwachsenen zu artikulieren. Ein Ewaija kann als Brücke zwischen Erwachsenem und Kind dienen. Imaginäre Freunde sind Symbole für reale Beziehungen und Erfahrungen, das Kind kann sie als Projektionsfläche nutzen. Imaginäre Freunde können dabei auch als Schutzfigur dienen und Kindern helfen, ihre Ängste zu überwinden. Durch das Einfühlen in die Gefühle ihrer Ewaijas lernen Kinder, die Perspektive anderer einzunehmen. So fördern Ewaijas die Entwicklung von Empathie. Ein wichtiger Teil der Konfliktlösefähigkeit.

  • Warum hat der Ewaija Angst im Dunkeln? Was können wir oder die anderen Ewaijas tun, damit er keine Angst mehr hat?

  • Der kleine Ewaija muss zum Arzt. Er will aber nicht. Warum ist das so? Was kannst du ihm sagen, damit sein Arztbesuch kein Problem ist?

  • Der Ewaija ist wütend, weil ich mich auf den Platz gesetzt habe, auf dem er sitzen wollte. Wie gehen wir mit dieser Situation gut um?

  • Das Kind kann den Ewaija auch einfach mitnehmen, damit es sich nicht alleine fühlt. Besonders bei abstrakten Gefahren funktioniert das gut.

  • Viele Kinder möchten ein Vorbild für den Ewaija sein, besonders weil sich das Kind in der Menschenwelt viel besser auskennt.

  • Dem Ewaija ist sein Eis auf den dreckigen Boden gefallen, wie fühlt er sich jetzt? Was könnte man tun, um ihn aufzumuntern? Soll der Mamaewaija ein neues Eis kaufen, oder nicht? Wenn ja: Was lernt der kleine Ewaija aus der Situation? Wenn nein: Wie fühlt sich der kleine Ewaija dann und wie könnten der Mamaewaija reagieren? Wie fühlt sich der Mamaeweija in der Situation?

Selbstreflektion:

Das Kind „erzieht“ den Ewaija und damit sich selbst gleich mit. Hier kann der Erziehende alle möglichen Alltagsproblem als Probleme der Ewaijas darstellen und vom Kind regeln lassen.

  • Der Ewaija möchte sein Zimmer nicht aufräumen. Erkläre ihm, warum Aufräumen wichtig ist und zeige ihm, wie man gut aufräumt.

  • Welche Regeln gelten beim Abendessen der Menschen und warum gibt es diese Regeln?

  • Der Ewaija hat dich gerade beobachtet, erkläre Ihm was passiert ist.

Rollenmodell:

Der Ewaija kann positive Verhaltensweisen zeigen und so auch ein Vorbild für das Kind sein.

Stärkung des Selbstvertrauens:

Kinder können mit ihrem imaginären Freund ihre Fähigkeiten ausprobieren und sich selbst bestätigen.

Beispiel: Das Kind hat ein Bild gemalt und zeigt es stolz seinem Ewaija. Die Eltern loben das Bild und fragen den Elefanten, was er davon hält.

Wirkung: Das Kind fühlt sich wertgeschätzt und ermutigt, seine Kreativität weiterzuentwickeln.

Entwicklung von Problemlösefähigkeiten:

Kinder finden Lösungen und Hypothesen für Probleme, die in Situationen mit den Ewaijas auftreten.

  • Der Ewaija möchte gerne mit in den Kindergarten kommen. Aber er passt nicht durch die Haustür und auch nicht ins Auto? Wie kommt der Elefant in den Kindergarten?

  • Der Ewaija ist in ein Loch gefallen. Wie können wir ihn da wieder herausbekommen?

  • Der Ewaija hat sein Lieblingskuscheltier verloren, wie gehen wir vor, um es zu finden?

Kommunikationsfähigkeiten:

Im Gespräch mit ihrem Ewaija üben Kinder, ihre Gedanken und Gefühle klar auszudrücken.

  • Ein Kind erzählt seinem Ewaija wie sein Tag oder eine bestimmte Situation verlaufen ist. Anregungen: Hat der Ewaija alles verstanden, was du erzählt hast? Welche Fragen stellt der Ewaija dazu? Kannst du es für den kleinen Ewaija einfacher und noch genauer beschreiben?

  • Erkläre dem Ewaija, was dein Lieblingsessen ist. Wie schmeckt es? Wie riecht es? Wie fühlt es sich an?

  • Erkläre dem Ewaija Schritt für Schritt, wie man ein Brot schmiert und belegt.

Fantasie:

Kinder entwickeln komplexe Geschichten und bauen ganze Welten um die Ewaijas herum auf. Es gelten eigene, meist logische Regeln und Systeme. Helfen Sie aktiv dabei, hören sie zu und stellen Sie viele konkrete Rückfragen dazu. Die Eltern sollten die Fantasiewelt des Kindes ernst nehmen und die Ideen respektieren.

Entwicklung von Vorstellungskraft:

Das Erfinden eines imaginären Freundes erfordert eine aktive Nutzung der Vorstellungskraft (Visualisierung).

  • Erkläre Schließe deine Augen. Wie sieht ein Ewaija aus? Groß oder klein? Welche Farbe? Hat er besondere Fähigkeiten? Passt dein T-Shirt dem Papaewaija?

  • Male ein Bild von einem Ewaija. Kannst du malen, was er so alles kann?

  • Wie sieht die Welt aus, in der die Ewaijas leben? Welche Pflanzen gibt es? Wie sehen sie aus? Welche Tiere leben dort?

Trost:

Studien zeigen, dass viele Kinder in schwierigen Situationen Trost durch unsichtbare Freunde finden können.[10] Sie fühlen sich seltener alleine und dadurch sicherer.

Wichtig: Der imaginäre Freund ist ein Werkzeug, um die Erziehung und Entwicklung zu unterstützen. Er ersetzt keine professionelle Hilfe, wenn tieferliegende Probleme vorliegen. Hinweise auf solche Probleme sind z.B. die Nutzung eines unsichtbaren Freundes zur Verdrängung der Realität, ausgeprägte Verwechslung von Realität und Fantasie, ausgeprägte Kompensation realer Beziehungen durch den imaginären Freund oder ein in jeder Hinsicht perfekt und überlegener unsichtbarer Freund.


[1] Binns, Corey (2006): Imaginary Friends and Enemies All Good, Scientists Say. livescience.com.

[2] Jiménez, Fanny (2015): Ihr Kind spielt mit erfundenen Freunden? Gut so! Psychologie. Welt.de.

[3] Seiffge-Krenke, Inge (2000) Ein sehr spezieller Freund: Der imaginäre Gefährte. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 49, 9, S. 689-702.

[4] Ebd.

[5] Taylor, Marjorie (1999): Imaginary companions and the children who create them. New York, N.Y.: Oxford University Press.

[6] Taylor, Marjorie (2003): Children's imaginary companions. Special english Issue No. 16/2003/1: Childrens's Fantasies and Television, International Central Institute for Youth- and Educational Televizion.

[7] Binns, Corey (2006): Imaginary Friends and Enemies All Good, Scientists Say. livescience.com.

[8] Gleason, Tracy R. (2017): The psychological significance of play with imaginary companions in early childhood. Learn Behav 45, 432–440.

[9] Davis, Page E. Imaginary Friends: How imaginary Minds Mimic Real Life. In: Anna Abraham (2020): The Cambridge Handbook of the Imagination. Cambridge University Press.

[10] Seiffge-Krenke, Inge (2000) Ein sehr spezieller Freund: Der imaginäre Gefährte. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 49, 9, S. 689-702.

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